Zeng Yang. Trümmer der Wirklichkeit
Laufzeit: 16. August 2019 bis 29. August 2019
Ein Pavillon am See, weiße Tempel, im Kreis drehende Karusselle, fahrende Züge, unverkennbare Kalligrafie, aus alten Wandgemälden entsprungene Figuren, Soldaten aus dem zweiten Weltkrieg, Tänzerinnen. In Zeng Yangs Gemälde tauchen verschiedenste Figuren auf. Sie werden auf unterschiedliche Art und Weise miteinander kombiniert, überkreuzen und verdichten sich, erscheinen allesamt montagehaft auf der Leinwand. Yang kombiniert die scheinbar zusammenhanglosen Figuren wieder und wieder in seinen unterschiedlichen Arbeiten, wobei zwischen Ihnen eine bewusste Distanz gewahrt bleibt. Das optisch Vertraute bleibt stets distanziert.
Normalerweise entstehen Geschichten, Sinnzusammenhänge, wenn Personen die Bühne des gemalten Bildes betreten. Der Regisseur, der Maler, erfindet sie nicht ohne Grund, lässt sie nicht vergebens auf die Bühne treten. Die Personen in Yangs Arbeiten jedoch scheinen beziehungs-, empathie- und schwerelos, immer darauf bedacht, die Distanz untereinander und zwischen sich und dem Betrachter zu wahren und erinnern dadurch an Arbeiten des frühen Surrealismus. Doch Zeng Yangs Intention liegt nicht in den Deutungen von Unbewussten und Träumen, ganz im Gegenteil, als Künstler kreiert er mit seinen Bildern einen Rahmen, gleich eines Werkzeugs, mit dem er die Wirklichkeit wahrnimmt und darüber hinaus, deren Grenzen erweitert.
In diesem abgesteckten fiktiven Rahmen lässt sich Wirklichkeit deuten, lassen sich zeitgleiche, simultan stattfindende Zusammenhänge aus verschiedenen kulturellen Ereignissen erahnen sowie ihr historischer und politischer Kontext. Die Wirklichkeitsebene in seinen Bilder besteht weder aus der Darstellung einer konkreten Nacherzählung noch handelt es sich um Augenzeugnisse, sondern er wirft eine makroskopische Sicht darauf, wie die Wirklichkeit entsteht. Die scheinbar vom heutigen Alltag weit entrückten und entfremdeten Figuren, sind in gewissem Sinn, Wegweiser für den Betrachter, Realität zu erkennen. Sie führen zur Essenz, zur Quelle des Realen.
''Trümmer der Wirklichkeit'' ist ein Sichtwinkel auf die Wirklichkeit. Es ist die Sicht des Künstlers auf seine Wirklichkeit, die gleichwohl abwesend und irreal erscheint. Jene scheinbar wirklichkeitsfernen, und dadurch abwesenden, Figuren werden auf der Bildfläche zu penetranten Anwesenden, die unseren Blick besetzen. Als wolle der Künstler uns hier ein Paradoxon beschreiben, dass Wirklichkeit letztendlich gerade durch ihr Nicht Dasein existiert.
Die Wirklichkeit, in Zeng Yangs Augen, ist sowohl ein kultureller, als auch ein polithistorischer Begriff. Kein Individuum existiert eigenständig, sondern wir alle sind schon von Geburt an mit der Welt durch tausende Fäden verbunden. Aus all diesen Verbindungen setzt sich Wirklichkeit zusammen. Zeng Yang wuchs in China während der Reform- und Öffnungspolitik auf, erlebte 30 Jahre gesellschaftlichen Wandel. Begleitend zu jeder gesellschaftlichen Reform herrscht immer ein Wettstreit zwischen alten und neuen Wertvorstellungen, zwischen Geschichte und Zukunft. Die chinesische Reformpolitik ist nicht nur ein Diskurs zwischen alt und neu, sie ist auch ein Abwägen zwischen Tradition und neuer Praxis angesichts einer Gesellschaft mit mehr Offenheit. Zwischen Tradition und Gegenwart, Geschichte und Wirklichkeit, Regionalisierung und Globalisierung, die Entscheidung zwischen den Polaritäten ist sowohl für Yang als auch für viele Chinesen keine einfache Entscheidung zwischen A und B. China, im Nachgang der Reformzeit, hat bereits eine Glanzleistung vollbracht, und erfüllt sich nun scheinbar selbst den Renaissancetraum, wovon viele Generationen träumten. Der chinesische Künstler Zeng Yang bleibt jedoch wie ein ungerührter, distanzierter Beobachter all diesem gegenüber: dem bereits verwirklichten wirtschaftlichen Aufschwung, dem versprochenen Wiederaufleben des Volkes. Beides wirkt eher wie ein Nachklang einer alten Geschichte. Die Wirklichkeit ist wie ein Haufen Trümmer, der darauf wartet, zusammengekehrt und wiederaufgebaut zu werden.
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