„I am Imaginary“ – Künstler und Engel
Laufzeit: 04. März 2015 bis 01. Juni 2015
Neben den großen Meisterwerken der Kunst sind im Fundus der Pinakotheken Bild gewordene Themenfelder und Erfahrungshorizonte geborgen, die sich den traditionellen Entwicklungslinien der Kunst entziehen. Häufig erschließen sich diese nur in der täglichen Arbeit oder den individuellen Interessen der Kuratoren, ohne im Kanon der Meisterwerke sichtbar zu werden. Das kleine Format „curator’s choice“ ist hier die Einladung, vom 4. März bis zum 1. Juni des Jahres in Saal 20 der Neuen Pinakothek diesen Themen, Erfahrungen und Fragestellungen – aus der Sammlung schöpfend und über die Sammlung hinaus – subjektiv assoziierend zu folgen.
Die Kunst des 19. Jahrhunderts zeigt einen dramatischen Verlust des seit dem Mittelalter so beliebten biblischen Bildpersonals. Ob himmlischer Bote, Torwächter oder Schutzengel – die Aufklärung stellt die Existenz der Engel in Frage und die Künstler vor ein Problem. Wie lassen sich Himmel und Hölle weiterhin glaubwürdig personifizieren? Wer übernimmt nun die Mittlerrolle hin zu Gott, Glauben, Spiritualität in der Kunst?
Künstler wie Peter von Cornelius versuchten zunächst, der Figur des Engels jene Ernsthaftigkeit zurückzugeben, die den biblischen Historien angemessen schien. Der Rückzug des Nazareners auf die Kunst des italienischen Quattrocento war dabei Programm; nicht die überbordende Rhetorik des Barock, in der Engel allenthalben in den Bildern herumschwirrten, sondern die authentische religiöse Erfahrung galt es zu rekonstruieren. Die augenscheinliche Entfernung der Darstellung zum Alltag der Menschen ließ jedoch die Frage nach der individuellen Erfahrung von Spiritualität offen.
Adolph von Menzels „Wohnzimmer mit Menzels Schwester“ zeigt hier eine interessante Lösung. Die Szene mit der im Hintergrund unter einem „Lüster-Engel“ aus Holz oder Gips nähenden Mutter folgt dem ikonografischen Motiv „Die nähende Jungfrau Maria mit Engel“, wie es etwa in dem Gemälde Guido Renis im Palazzo Quirinale, Rom, zu sehen ist. Ganz realistisch ist die Szene nicht, da die Mutter des Künstlers bereits ein Jahr zuvor verstorben war; Menzel bemüht also die biblische Vorlage nicht nur, um die innige Verbundenheit mit seiner Mutter hervorzuheben, sondern auch um das Nachleben der Bibel im täglichen Leben deutlich zu machen. Ähnlich auch Fritz von Uhde: Engel ja, aber als Modell in der Pause, und auch die Szene der „Tobiaslegende“ spielt nicht am Tigris, sondern an einem schattigen Bachlauf, zu dem sich ein Junge aus dem Haus im Hintergrund fortgeschlichen hat, um Fische zu angeln.
Mit der realistischen Brechung löst sich die Darstellung der Engel aus der Verbindlichkeit christlicher Ikonografie; sie wird subjektive Projektionsfläche unterschiedlichster, spiritueller Sinnsuche wie in G. F. Watts „The Happy Warrior“ oder Paul Gauguins „Te tamari no atua“. Tatsächlich etabliert die symbolistische Malerei den Künstler selbst als ebenjenen Mittler spiritueller Erfahrung, die nicht zuletzt im 20. Jahrhundert in neuen Bildthemen, magischen Momenten oder Performances inszeniert wird. James Lee Byars etwa hat die Frage nach Spiritualität und Metaphysik – und damit verbunden nach vollkommener Schönheit – immer wieder in seinem Oeuvre thematisiert. Wie kaum ein anderer war er sich bewusst, wie sehr Künstler und Engel sich dabei ähneln, wenn er feststellte: „I am Imaginary“.
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