Deutschland. Textil- und Bekleidungsindustrie: 1882 waren 1223621 Betriebe mit 2169880 beschäftigten Personen, dagegen 1895: 1054137 Betriebe mit 2383861 Arbeitern vorhanden. Am ältesten ist die
Leinenweberei. Das
Spinnen des Flachses als Beschäftigung auf dem Lande hat sehr nachgelassen, seitdem die Spinnmaschine die geübteste menschliche Hand überbietet. Die Flachsspinnerei beschäftigt gegenwärtig über 360000 Spindeln, kann jedoch den einheimischen Bedarf nicht decken. Im Jahre 1900 betrug die Einfuhr von Leinen-, Jute- und Manilahanfgarn, sowie von Nähgarn und
Zwirn 19171 t (25,1 Mill. Mk.).
Hauptsitz der Leinenweberei ist das schlesische Gebirge längs der böhmischen Grrenze, von wo sie nach der sächs. Lausitz übertritt. Namentlich in
Zittau und Umgebung werden vorzugsweise feinere Gewebe, darunter auch die viel gesuchten Damaste, hergestellt. Sehr bedeutend für die Anfertigung von Leinwand ist ferner Bielefeld (s. d.) mit Umgebung bis in die Gegend von Osnabrück und nach der Lippe zu. Hier, wie in einzelnen Bezirken von Württemberg, Franken, Thüringen, im Rheinland, Brandenburg ist die Leinenweberei hausindustriell entwickelt; es mögen etwa 90000 Webstühle vorhanden sein, die indes nur bei sehr flottem Geschäftsgange voll beschäftigt sein werden; die Mehrzahl der Weber ist nebenher landwirtschaftlich tätig.
Fertige Wäsche wurde früher vorzugsweise in Bielefeld hergestellt, neuerdings aber auch in Berlin und anderen grossen Städten mit Erfolg.
Seilerwaren liefern Westfalen, die Seestädte, Oberschlesien, das schwäbische Bayern und das Reg.-Bez. Kassel
Packleinwand Ostfriesland und die Gegenden der Ems und mittleren Weser.
Die Zwirnerei erstreckt sich hauptsächlich auf das Königreich Sachsen, auf
Schlesien und die Bheinprovinz. Ausserdem befinden sich bedeutendere Nähfadenfabriken in Augsburg und Heilbronn.
In der Hausindustrie wird Hervorragendes nicht geleistet; am meisten ist dieselbe in Baden und in
Schwaben zu Hause.
Jutewaren bezog Deutschland früher aus England. Die erste Juteweberei wurde in D. im Jahre 1861 in Verhelde bei Braunschweig gegründet. Seitdem sind in Meissen, bei Hamburg, Berlin und anderen Orten Jutewebereien und -Spinnereien entstanden, deren Erzeugnisse steigende Aufnahme gefunden haben. Da der Rohstoff eingeführt werden muss, so lässt sich an den Einfuhrziffern das Wachstum der Industrie am besten darlegen: 1880 wurden 17564 t (6,7 Mill. Mk.), 1896: 98845, 1900: 97106 t Rohjute (30,1 Mill. Mk.) eingeführt.
Für
Wolle sind etwa 1450000 Spindeln für Streichgarn, und etwa 600000 Spindeln für Kammgarn tätig. Die Hauptsitze der Wollspinnereien sind die Rheinprovinz, das Königreich
Sachsen (namentlich die Gegend von
Werdau bis Plauen),
Württemberg und das Oberelsass. Diese Bezirke sind auch die Hauptsitze der Tuchfabrikation, denen sich noch die Niederlausitz und der südöstliche Teil der Mark Brandenburg mit den Städten Kottbus, Forst, Spremberg, Sorau,
Sommerfeld zugesellen. Besonders feine Tuche liefern Aachen,
Grossenhain und andere sächsische Städte. In Bezug auf Kammwollwaren zeichnen sich die Bezirke von Chemnitz,
Glauchau bis mit Crimmitschau und Plauen, von Gera,
Greiz (wollene und halbwollene Frauenkleiderstoffe: sog. "Greiz-Gera" -Artikel),
Zeulenroda und Pössneck, Mühlhausen i. E.,
Gebweiler und Bischweiler, auch
Württemberg aus.
Die Kunstwollspinnerei, vor vier Jahrzehnten eingeführt, wird hauptsächlich im Pheinland, namentlich in
Aachen (82 Fabriken mit 1200 Arbeitern), Düsseldorf, Minden, Liegnitz, ferner in den sächsischen Industrieorten Steingleis bei Zwichau, Werdau,
Wilkau u.s.w. betrieben.
Für wollene
Strumpfwaren sind Chemnitz, Apolda,
Zeulenroda sowie einzelne Bezirke in
Württemberg und dem Elsass zu nennen,
für Shawlweberei Berlin,
für wollene Plüsche Berlin, Barmen, Hannover und Dresden,
für Teppiche Berlin, Barmen,
Schmiedeberg (Schlesien),
Wurzen
Die Einfuhr von Wollgarn betrug 1880: 93,1, 1896: 114,1, 1900: 110,6 Mill. Mk.; die Einfuhr von Wollwaren 26,1 und 16,1, 1900: 20,5 Mill. Mk.;
dagegen stieg der Wert der Ausfuhr 1888-1900 von 190 bis auf 233,7, Wollgarn von 44,6 auf 56,8 Mill. Mk.
Die Kammgarnspinnerei hat ihre Hauptsitze im Elsass (Malmerspach Mühleisen Erstein und Sennheim) und in
Sachsen In S. wurde die Maschinenspinnerei am Ende der 30er Jahre eingeführt. Schon 1861 besass das Land 15 Kammgarnspinnereien mit 104600 Spindeln und einem Gesamterzeugnis von 15 Mill. Mark.
Die Entwickelung der deutschen Baumwollindustrie erscheint um so beachtenswerter, wenn man erwägt, dass der Rohstoff im Heimatlande nicht erzeugt wird; sie ist konzentriert im Oberelsass (Mülhausen, Gebweiler, Thann, Münster, Markirch, Wesserling), in
Sachsen (Chemnitz und Umgebung vorzugsweise im Zschoppau-, Flöha- und Muldental) im Rheinland (München-Gladbach, Dülken, Barmen, Elberfeld bis nahe zum Rhein), in
Württemberg (bei Reutlingen), im nördlichen Abfall der Rauhen Alb und von hier übergehend bis nach Bayern in Baden im südlichen Abfall des Schwarzwaldes; in Bayern (Augsburg) und in Oberfranken (Bayreuth bis Hof); in
Schlesien (Reg.-Bez. Liegnitz bis zu dem Eulengebirge).
Die Einfuhr von roher Baumwolle, die jetzt statt über London mehr und mehr über Bremen erfolgt, belief sich 1840 auf rund 10000 t, 1870 auf 71000 t, 1900 auf 313155 t (318,1 Mill. Mk.). Obgleich die Spinnereien (etwa 6 Mill. Feinspindeln) ihre Erzeugung zu steigern bemüht gewesen sind, kann der Bedarf an Baumwollengarn doch nicht ganz gedeckt werden, vielmehr wurden 1900 noch 19969 t (62,9 Mill. Mk.) eingeführt. Erzeugt werden die gröberen und mittelfeinen Garne bis zu etwa Nr. 80, im Oberelsass bis zu etwa Nr. 100; feinere Garne liefert England, Das Oberelsass nimmt in Bezug auf die Feinheit der Stoffe den ersten Rang ein, dann folgen das Königreich
Sachsen und Rheinland.
Für
Weisswaren (Gardinen, Mull, Musselin) ist ausserdem das Vogtland (Plauen) zu nennen, für baumwollene
Strumpfwaren Chemnitz, für Buntstickerei Berlin, Rheinland und Württemberg, für Posamentierwaren Barmen, Elberfeld,
Annaberg (Sachsen), Isny (Württemberg), Brieg (Schlesien), Strassburg und Kolmar, für
Wachstuch Berlin und Leipzig, für Schirm stoffe Chemnitz, Berlin, Elsass und Rheinland. Hausindustriell entwickelt ist die Spitzenklöppelei und
Weissstickerei im Erzgebirge (Eibenstock, Schwarzenberg,
Schneeberg bis in das Vogtland), letztere auch im südlichen
Württemberg
Die Hauptbezirke für Veredelung von Wollwaren sind Zwickau, Greiz-Gera, Bautzen, Frankfurt a. 0., Oberfranken. Unter den Hauptbezirken für Baumwollveredelung finden sich wieder Zwickau, ferner Mühlhausen und
Düsseldorf Mit der Veredelung von
Seide sind in Krefeld und Elberfeld 3900 Personen in Fabriken und 3000 Personen im handwerksmässigen Betrieb beschäftigt.
Die Einfuhr von Baurawollwaren betrug im Jahre 1880: 1387 t (14,9 Mill. Mk, Wert), 1890: 1462 t (11,8 Mill. Mk.), 1900: 6302 t (35,2 Mill. Mk.). Dagegen hat die Ausfuhr stetig zugenommen, sie betrug 1880: 21171t (99,4 Mill. Mk.), 1890: 28190 t (168 Mill. Mk.), 1900: 40865 t (244,7 Mill. Mk.).
Für die
Seidenindustrie sind Krefeld, Barmen und Elberfeld Mittelpunkte, ferner Berlin, Aachen, Baden und Lothringen. Der Schwerpunkt der deutschen
Seidenindustrie liegt auf den Halbseidenstofi'en und Sammeten, in denen sogar die berühmte französische Industrie erreicht, vielleicht überholt ist, während in den schweren Stoffen Frankreich noch den ersten Platz behauptet.
Der Gesamtwert der Einfuhr (einschliesslich Rohseide) ist seit 1880 von 148,5 auf 200,6 Mill. Mk. im Jahre 1899 gestiegen; im Jahre 1900 jedoch auf 173,3 Mill. Mk. zurückgegangen; der Gesamtwert der Ausfuhr (mit Einschluss der Halbfabrikate) dagegen von 237,1 auf 166,6 Mill. Mk. gefallen,
nachdem sich dieselbe bis in die neunziger Jahre des 19. Jahrhunderts auf gleicher Höhe gehalten hatte.
Die Bleicherei, Färberei, Druckerei und
Appretur der Garne und Webwaren schliessen sich an den Webstoff an, dem sie zu dienen bestimmt sind, und finden sich in denselben Bezirken. In Zeugdruckerei und
Appretur fand Jahrzehnte hindurch ein lebhafter Wechselverkehr mit den Nachbarländern statt, die ihre Webstoffe nach Deutschland sandten und hier im Veredlungsverkehr bearbeiten liessen. Solche Zeugdruckereien finden sich noch in Mühlhausen i. Els., Berlin, Augsburg, Baden, Sachsen, doch hat dieser Veredlungsverkehr durch die Erhöhung der Zölle in den Nachbarländern stark
gelitten.
Für Spitzenklöppelei sind die Hauptsitze Annaberg,
Schneeberg (Hauptstadt für weissleinene Spitzen), Schwarzenberg, Eibenstock und
Schönheide (Tambourierstickerei für Decken, Gardinen, Schleier). Einer der grössten Betriebe mechanischer Spitzenfabrikation befindet sich in Leipzig-Lindenau.
Für die
Stickerei sind die Hauptorte Plauen und
Zwickau auch in dem württembergischen Oberland sticken seit einem Jahrzehnt mehrere Tausend
Personen, aber für Rechnung schweizerischer Unternehmer. Bedeutend ist die
Stickerei auch in Berlin, wo sich mit ihr sowie mit Häkelei 2900 Personen befassen.
Geschichtliches: D, sieht geschichtlich wie dem Umfange des Aussenhandels nach in der Textilindustrie an erster, der
Zahl der beschäftigten Personen nach an fünfter Stelle. Das Verarbeiten des Flachses und der
Schafwolle war hier von jeher allgemein verbreitet. Beide Gewerbe wurden vom frühen Mittelalter an in Schwaben, Cleve, Jülich und Gelderland als landwirtschaftliches Nebengewerbe oder handwerksmässig betrieben. Tuch und Leinen bildeten im Mittelalter für Augsburg, Ulm, Görlitz, Köln,
Aachen u. s. w. einen Hauptexportartikel, der in England, Eussland sowie in Italien und
Spanien guten Absatz fand. Die
Weberei der feineren Wollzeuge, die bis dahin nach Deutschland importiert worden waren, wurde 1566 von flüchtigen Flamändern in Hanau, Gera, Plauen, 1680 von Hugenotten in Berlin, Göttingen, Kassel, Eisenach eingeführt. Erst im 17. Jahrhundert kam die Konkurrenz Englands auf. Die Baumwollenweberei und Kattundruckerei wurde in Deutschland zu Ende des 17. Jahrhunderts in Augsburg (s. d.) eingeführt und der geschlossene Fabrikbetrieb - als erste Kattunmanufaktur 1750 durch flüchtige Schweizer in Plauen i. V. - begründet.
Sachsen wurde neben Ostindien und der
Schweiz zum hauptsächlichsten Produktionsland für Baumwollenwaren. Die Schleierweberei aus Baumwolle wurde zu Ende des 16. Jahrhunderts von niederländischen Flüchtlingen im sächsichen Voigtlande, dessen Mittelpunkt die Stadt Plauen bildet, eingeführt und bis 1600 daselbst für Rechnung Nürnberger Kaufleute betrieben. Im 17. und 18. Jahrhundert dehnte sich die neue Manufaktur (Musselin, Kattun u. s. w.) immer mehr aus, bis sich kurz vor den 20er Jahren auch hierin der Maschinenbetrieb einzubürgern begann. Die Seiden Industrie kam Ende des 17. Jahrhunderts durch niederländische und französische Flüchtlinge nach dem linken Rheinufer (s. Krefeld) und in die Mark (s. Berlin). Die Spitzenklöppelei wurde um die Mitte des 16. Jahrhunderts als häusliche Beschäftigung (der Bergmannsfamilien) aus den Niederlanden im sächsichen Erzgebirge eingeführt. Die Posamntierkunst wurde 1591 von flüchtigen Niederländern in das mittlere Erzgebirge, die Strumpfwirkerei ein Jahrhundert später von flüchtigen Hugenotten nach Württemberg,
Sachsen und Thüringen verpflanzt. Mit der
Wirkerei ist die Korsettweberei verwandt; auch sie ist eine aus Frankreich herüber verpflanzte Industrie und sie wurde im Jahre 1848 nach dem Vorbild der Fabrikation in Bar le Duc zuerst in
Württemberg eingeführt. Die
Wirkerei mit ihren drei Hauptzweigen: der Strumpfwaren-, Handschuh- und der Trikotagenfabrikation bildet heute in D. einen Hauptzweig der Textilindustrie. Der Manufakturbetrieb kam (speziell in der Strumpfwirkerei) in den ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts auf; eine solche "Strumpf-, Seiden- und Wollfabrique" errichtete damals in Limbach David Esche, der Erfinder des deutschen Strumpfwirkstuhls. Die Strumpfwirkerei als Handwerk konnte sich aber fast noch ein volles Jahrhundert erhalten. (Vgl.: "Deutschland als Industriestaat" von Dr. F. C. Huber,
Stuttgart 1901. S. 421 ff.)