Lexikon
Handwörterbuch der Textilkunde aller Zeiten und Völker für Studierende, Fabrikanten, Kaufleute, Sammler und Zeichner der Gewebe, Stickereien, Spitzen, Teppiche und dergl., sowie für Schule und Haus, bearbeitet von Max Heiden, Stuttgart 1904
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Eintrag:
Acanthus
Acanthus, auch Bärenklaue genannt, eine in südlichen Gegenden wild wachsende Staude, von welcher es 14 Arten gibt (s. Abb. 1 u. 2). Ihre Schönheit veranlasste den griechischen Architekten Kallimachus zur künstlerischen Nachahmung, er benutzte Blatt- und Blütenform zur Ausstattung des korinthischen Kapitals. Von
Griechenland aus fand die Blattform allgemeine Verbreitung, sie ging auch auf alle Gebiete der Kleinkunst über (s. Abb. 3) und spielt in den nachfolgenden Stilarten eine grosse Bolle. Die europäische Textilkunst bevorzugt das Motiv eigentlich nur zur Zeit der Benaissance: sie bringt Acanthusblattwerk, Banken u. s. w. in abwechselnder Darstellung für Weberei, Stickerei, Spitzennäherei u. a. m. unter strenger Beobachtung der Stilistik des Flächenmusters zur herrlichen Entfaltung (s. Abb. 4). Aber schon in Stoffen der Spatrenaissance sieht man den A. weniger berücksichtigt, bis er im 18. Jahrh. in kleineren Flächenmustern zurücktritt; in der Zwischenzeit aber durch Meister französischen Klassizismusses für architektonische Innendekoration Verwendung findet (Abb. 5). Die Empirezeit und die Periode Schinkels nimmt den A. mit den übrigen klassischen Motiven wiederum auf (s. Abb. 6) und er kommt dann noch einmal in der modernen Renaissance der Jahre nach 1873 in Nachbildung der altitalienischen Vorbilder zur Geltung (s. Abb. 7). In neuester Zeit ist der A. mit dem Studium der Naturformen und ihrer Nutzbarmachung für die Fläche Gregenstand eingehender Betrachtung geworden (s. Abb. 8).
Literatur: Ebe, Handbuch der ornamentalen Acanthusformen aller Stilarten. Berlin 1893; Meurer, Die Ursprungsformen des griechischen Acanthusornaments. Berlin 1896.
Abb. 1 Acanthus satinus, nach einem Holzschnitt aus: Lobelius, plantarum sev stirpium icones, Antwerpen 1581,
Abb. 2 Acanthus mollis aus demselben Werk.
Abb. 3 Originalaufnahme aus dem Königl. Landesgewerbe-Museum in Stuttgart: Quadratisches Aufsatzstück eines Gewandes, gobelinartige Stopfarbeit in violettem und weissem Garn mit Darstellung einer Reiterfigur über einem Löwen im Rande Acanthusranke mit Blüten und Früchten. Aus einem koptischen Grabe, 5.-7. Jahrhundert.
Abb. 4 Acanthusrankenmotiv nach einer Darstellung aus: Heiden, Musteratlas, Blatt 102, Leipzig 1896, Borte aus aufgenähter Silberschnur auf rotem Sammet; dazwischen Candille und Füttern; Italien, 16. Jahrhundert. Original: Königl. Kunstgewerbe-Museum Berlin
Abb. 5 Gobelinborte mit Acanthusblattwerk Ranken und Eierstableiste nach einer Darstellung aus: L'Art pour Tous, XIV. Jahrg., Blatt 358. Original aus der Zeit Ludwig XIV. (1643-1715)
Abb. 6 Acanthuskelch mit Blattwerk und Blüten nach einer Darstellung aus: Heiden, Musteratlas Blatt 41, Leipzig 1896: Abgepasste Bildweberei in farbiger Seide für den Stuhlbezug einer Rücklehne nach Zeichnung von Karl Friedrich Schinkel, Berlin 1781 1841. Original Königl. Kunstgewerbe-Museum Berlin.
Abb. 7 Ecke einer Leinendamasttischdecke mit Borte aus Acanthusrankenwerk nach einer Darstellung aus: Gewerbehalle 1891, Blatt 24
Abb. 8 Gepresster Sammet mit Muster aus volutenartig geschwungenen Acanthusranken, nach einer Darstellung aus Kunstgewerbeblatt 1893 Original aus der Fabrik von Th. Wardle in London, 1892.