Lexikon

Handwörterbuch der Textilkunde aller Zeiten und Völker für Studierende, Fabrikanten, Kaufleute, Sammler und Zeichner der Gewebe, Stickereien, Spitzen, Teppiche und dergl., sowie für Schule und Haus, bearbeitet von Max Heiden, Stuttgart 1904

Gesamtindex
Eintrag: Zopfstil
Zopfstil bezeichnet in Deutschland die Kunstweise der Zeit nach Friedrich dem Grrossen, welche aus dem in Frankreich herrschenden Stil Louis XVI. entstanden ist. Letzterer beginnt seine Entwickelung schon um die Mitte des 18. Jahrhdts., indem die antikisierende Richtung eine zierliche Verbindung mit den Resten des Rokoko (s. d.) eingeht. Und wie in den übrigen Stilarten die französische Kunstweise im Kreise der Architektur keine Rolle spielt, sondern mehr in der Dekoration der Innenräume auf dem Gebiete der Kunstindustrie viel ausschliesslicher zur Geltung kommt, so auch hier. Inmitten weisser glatter Flächen zwischen den immer knapper werdenden, geradlinig sich gestaltenden plastischen Umrahmungen aus vergoldetem Stuck, dessen Dekoration auch die Möbel annehmen (Abb. 353), machen sich die Erzeugnisse der textilen Künste geltend, um möglichst zarte Farbentöne zur mässigen Belebung des Ganzen hineinzutragen. Gewebe und Stickereien, erstere in Tapetenstoffen (Abb. 354), passen sich in ihren Zeichnungen den modellierten Einzelheiten aus ovalen Medaillons, Urnen, Perlengehängen u. dgl. an, die Muster wiederholen sich im pilasterartigen Aufbau, genau so, wie die italienische Renaissance die Antike kopierte, nur dass hier jeder Linie etwas eigen ist, was den vornehmeren Zug der organischen Entwickelung von dort her nicht hinübergenommen hat. Dieselbe Leichtigkeit in der Auffassung überträgt sich auch stilistisch auf die Technik. Die Tambourierarbeit muss genügen um mit Zuhilfenahme einiger Malerei einen Lambrequinstreifen mit Querstange und umwickelter Draperie plastisch darzustellen (Abb. 345, S. 639 u. Abb. 355). Und dennoch hilft das Graziöse, mit welchem solcher stilistische Leichtsinn verübt ist, über jedes Bedenken hinweg: die geschickte Vereinigung des Materials im Zusammenhange mit Eleganz und Vornehmheit der Farbengebung bergen ihre umvillkürlichen Reize. Aber der künstlerische Zauber einer taufrischen Blütenlese antiker Formensprache aus Klein-Trianon war gar bald verweht in der kalten nüchternen Ausdrucksweise eines steifen Empire's (s. d.).
Abbildungen:

Abb. 353 Darstellung aus Heiden, Musteratlas, Leipzig 1896: Bl. 13L Lehnstuhl, Holz geschnitzt und vergoldet, gepolsterte Rückenlehne und Kissen mit gesticktem Ueberzug. Original (aus dem Zimmer der Königing Marie Antoinette) im Königl. Kunstgewerbe-Museum zu Berlin, Frankreich um 1790.

Abb. 354 Darstellung aus: L'art decorer etc. par Mr. Cox, Lyon 1900 Bl. CXI.: Seidenstofftapete, Grund rot, Muster weiss: Pilaster artiger Aufbau von Blumenfeldern und Vasen zwischen Gehängen in geraden Doppellinien. Frankreich um 1790.

Abb. 355 Darstellung wie 353: Behangstreifen, Stickerei auf weissem Atlas in farbiger Seide im Tambourierstich mit gemalten Zwischenteilen: Bogenfelder aus drapierten Bändern und gewundenen Blatt- und Blütenranken. Frankreich um 1790.