Spanien, Königreich: Textilindustrie in den Provinzen Katalonien, Valencia, Murcia,
Galizien und Asturien, vornehmlich Baumwolle, Leinen und Anfertigung von Geweben daraus. Woll- und
Seidenindustrie in Sevilla; auch die baskischen Provinzen haben von jeher regen Betrieb im Textilgewerbe.
In ältesten Zeiten werden besonders erwähnt die Leinenstoffe von Soetabis (Jativa), ferner Wollenstoffe, die in dem heutigen Katalonien und Nordvalencia, hauptsächlich in Tarraco, gewebt wurden. In letzterer Stadt stellte man auch fertige Gewänder her, die in grossen Massen nach Italien exportiert wurden. In
Galizien wurden die lacernae, Soldatenmäntel, gemacht, die ebenfalls über das ganze Reich Verbreitung fanden.
In der Blütezeit des Kalifats (9. Jahrh.) beschäftigte die Textilindustrie Millionen von Menschen. Die maurischen Schleiergewebe, die Seiden-, Brokat- und Damaststoffe Andalusiens waren überall auf das höchste geschätzt und wurden im 10. und 11. Jahrh. in grossen Massen exportiert. In Cordova allein sollen sich unter Hakem II. (961-76) 130000 Menschen von
Seidenweberei ernährt haben, in
Sevilla waren 16000 Seidenwebstühle in Tätigkeit. Einer der Hauptorte für Seidenfabrikation war
Almeria In den Alcaicerias, den Seidenstoff lagern der grossen Handelsplätze, waren Stoffmassen im Werte von vielen Millionen Dinaren aufgehäuft. Die Wollenweberei wurde übrigens von den Eingeborenen, die Leinen- und Baumwollweberei von den Syrern und Aegyptern betrieben.
Die Eroberung Granadas (1492) trug Kastilien die reiche
Seidenindustrie dieses letzten muhammedanischen Staates ein und Isabel war darauf bedacht, sie ebenfalls auf ihrer bisherigen Höhe zu erhalten; die Seidenfabrikation blieb daher zunächst auch denselben Gresetzen unterworfen, welche die maurischen Könige für sie geschaffen hatten.
Auch die Tuchindustrie hatte sich unter Isabel rasch entwickelt und beide Gewerbtätigkeiten fanden grosse Verbreitung, deren Haupterzeugungsstätten ausser Granada, Sevilla, Barcelona und Valencia noch Toledo, Segovia, Avila, Valladolid, Burgos, Medina des Campo und Cuenca wurden. In
Sevilla waren Zehntausende von Arbeitern mit der Herstellung von Seidenstoffen und Wolltüchern beschäftigt; in Toledo wurden von mehr als 560 Mützenmachern Millionen der unter dem Namen "Fes" bekannten Kopfbedeckungen angefertigt, die über Cadiz nach Nordafrika ausgeführt wurden. Toledo war neben
Sevilla auch der hauptsächlichste Fabrikationsort für Seidenstoffe, und etwa 40000 Menschen waren zeitweise in diesem Zweige beschäftigt.
Unter Karl V. (1519-1556) befand sich Spanien auf dem Gipfel seiner politischen Macht und besass eine ungemein leistungsfähige Industrie indessen führte das Regierungssystem seines Sohnes, Philipp II. (1556-1598) einen Verfall der materiellen Kultur herbei, der sich so schnell vollzog, dass nach Philipps Tod schon grosse Zweige der gewerblichen Tätigkeit ihre Lebenskraft fast eingebüsst hatten. Zum Zwecke der Förderung der
Leinenindustrie war der riachsbau, namentlich im Norden Spaniens, mit so gutem Erfolge eingeführt worden, dass bereits 1535 der Import ausländischer Leinwand verboten werden konnte. Aber auch dieser Industriezweig vermochte sich auf die Dauer, unter der wachsenden Ausbeutung der gesamten nationalen Industrie seitens der in ewiger Finanznot befindlichen Regierungen und infolge der teuren Löhne wie der hohen Produktionskosten der spanischen Manufakturen, der Konkurrenz des Auslandes gegenüber nicht zu halten. Hatte die spanische Industrie um die Mitte des 16. Jahrhdts. nicht nur die Iberische Halbinsel und die grossen Kolonien ganz ausschliesslich mit ihren Erzeugnissen versehen, sondern auch im Auslande starken Absatz gefunden, so war das Land im 17. Jahrh. mehr und mehr auf die fremden Waren angewiesen worden; ganze Industriezweige waren eingegangen, die noch vorhandenen beschäftigten höchstens ein Zehntel der Kräfte, die ein Jahrh. früher in ihrem Betrieb tätig gewesen waren. Mehr als drei Viertel der Gesamtbevölkerung Spaniens kleidete sich unter Karl II. (1665-1700) in fremdländische Stoffe, die einheimischen Fabriken lieferten nur noch Stoffe geringster Qualität. Wo sich um diese Zeit noch Reste von Industrietätigkeit erhalten hatten, da waren es fast nur Ausländer, die sie betrieben eine rühmliche Ausnahme machten ausschliesslich die Katalanen, die auch in den Zeiten des tiefsten Verfalls der Industrie immer eine gewisse Pflege zuteil werden liessen.
Die Musterung der ältesten spanischen Seidenstoffe beruht natürlich vollständig auf Eingebungen des Islam (s. arabischer Stil), worin geometrische Figuren mit stilisierten Blättern und Blütenansätzen, dazwischen arabische Inschriften, die Elemente bilden, aus deren Verbindungen die "Märchen der Linie, die Arabesken, geschaffen wurden (Abb. 79, 80, 264, 277-78).
Auch in späterer Zeit bleibt eine solche Flächenteilung vorherrschend (Abb. 23); selbst zur Zeit der Renaissance, als im Bereiche der spanischen Textilkunst der italienische Einfluss unverkennbar ist, herrscht die orientalische Formenwelt vor, die über Venedig von neuem Nahrung erhalten hatte und Muster daher mit denen Spaniens verwandt erscheinen lässt (Abb. 279). Bezeichnend für spanische Brokatstoffe des 16. Jahrhs. ist ferner das Vorkommen von gezogenen Gold- und
Silberfäden in denselben, deren erste Erscheinung' hier mit der Entwicklung der Filigranarbeit im Zusammenhange steht (vgl. Spanien im Artikel Renaissance S. 425, dazu Abb. 251-52).
Abb. 23 Arabisches Stoffmuster nach einer Darstellung aus: Portefeuille des arts decoratifs tissus, PL 256. Original Seidenstoff in Bunt auf rotem Grunde spanisch-maurisch 15. Jahrhdrt.
Granz frei von orientalisierenden Elementen mit einem
Streumuster im Stile italienischer
Spätrenaissance ist der unter Abb. 280 dargestellte Silberbrokat, der den spanischen
Doppeladler und die Wappenzeichen der unter ihm vereinigten Reiche Leon und Kastilien, zwischen Namenszügen (Karl V. [?] und Philipp II. [?]) enthält. Ueber die Gewebemuster Spaniens aus dem 18. Jahrh. ist man zweifelhaft. Es wird versucht, eine Gruppe von Seidenstoffen als solche zusammenzustellen, welche grosse phantastische, schräg aufsteigende und gewundene frucht- und blattartige Gebilde enthalten, die von feinen Ranken mit orientalisierenden Blüten verbunden sind; eine verwandte Gruppe solcher Stoffe hat reiche Broschierungen in Gold und Silber: es gehen die Meinungen darüber auseinander, ob beide Arten als spanische Erzeugnisse, oder ob eine von ihnen venetianischen Ursprunges sein möchte (vgl. Venedig).
Ueber spanische Teppichmuster älterer Zeit ist man durch einige geknüpfte Originale des 16. Jahrhdts. (s. Teppiche) unterrichtet: sie schliessen sich im wesentlichen den orientalischen Vorbildern an; ebenso wie die heute in Madrid bestehende Manufaktur gute alte persische Knüpfteppiche nachahmt (Abb. 281). Ueber
Spitzen und
Stickerei s. die betreffenden Artikel.