Abb. 110 Darstellung aus: Eugène Müntz, La tappisserie, Paris, A. Quantin, S. 31: Darstellung eines griechischen Webestuhles (le metier de Penelope) nach einer antiken Vase aus dem Antiquarium der Königl. Museen in Berlin.
Griechenland, Königreich, hat trotz der hohen Schutzzölle keine bedeutende Industrie. Nennenswert ist die Textilindustrie, besonders Seidenfabriken (37 Betriebe mit 8-9 Mill. kg jährlicher Produktion). Bedeutend ist auch die Erzeugung von Teppichen, deren Hauptproduktionsorte Tripolitza, Leonidi, Athen, Argos, Korinth, Atalanti, Gortinia, sowie Yolo und Makrenitza in der Provinz Thessalien.
Atalanti ist derjenige Platz wo die moderne Teppicherzeugung zuerst aufgenommen wurde, Tripolitza jener, welcher an Leistungsfähigkeit obenan steht mit allein ein Fünftel der Gresamtproduktion im Werte von etwa jährlich 200000 Drachmen (= 150 000 M.). Die meisten Teppiche werden in der Hausindustrie erzeugt, nur vereinzelt gibt es berufsmässige Teppichweber. Ein Haupterzeugungsort derselben ist eine Frauenarbeitsanstalt: eine Schöpfung des griechischen Bankiers Syngros, welche in ihren inneren Einrichtungen fast vollkommen unseren Frauenerwerbsvereinen entspricht. Mehr als 400 Frauen und Mädchen der ärmeren Bevölkerungsklasse erlernen hier ausser anderen weiblichen Handarbeiten insbesondere die Teppichweberei. Die bei der Teppicherzeugung zur Verwendung gelangenden Rohstoffe sind fast ausschliesslich inländischen Ursprungs.
Auch der Bedarf an Mineral- (Anilin-) und Pflanzenfarben wird in
Athen gedeckt, welches dieselben aus dem Auslande, vornehmlich aus England, Frankreich, Belgien,
Deutschland und Italien bezieht. Die Musterung griechischer Teppiche scheint nach einem Bericht von Richard Oppenheimer, welchen derselbe im Jahre 1891 für die in
Wien stattgefundene Teppichausstellung erstattet, auf künstlerischen Wert keinen Anspruch zu haben. „Sie ist einfach in der Komposition, wenn auch mannigfaltig variiert. Die einzelnen Motive haben eigene Benennungen. Man unterscheidet die eigentlichen griechischen Muster und solche Zeichnungen, welche sich an die Muster der Smyrna-Teppiche anlehnen. In neuester Zeit werden in der Fabrik einer Athener Firma Teppiche mit eingewebten Ansichten von Athener Bauwerken und Denkmälern und Sujets aus der altgriechischen Geschichte hergestellt. Seit einiger Zeit werden übrigens ausser den gewebten Teppichen auch geknüpfte Teppiche gefertigt. Aus der Zeit der Antike haben uns
Griechenland und Rom wenige Originalstoflfe hinterlassen. Einige Ueberreste von Wollwirkereien sind in den Gräbern pontischer Griechen der hellenistischen Zeit (etwa vom 3.-1. Jahrh. v. Chr.) gefunden (vgl. Compte rendu de la commission archeologique de St. Petersburg [für die Jahre 1878/79], 134 Tafel V), welche naturalistische Muster mit Enten, Hirschköpfen und Blättern zeigen. Mit Recht betont Alois Riegl (Altorientalische Teppiche,
Leipzig 1891, S. 15), dass „die gesamte Textilkunst des Altertums augenscheinlich unter der Führung der
Wirkerei stand und dass erst mit der Verbreitung der Seidenkunstweberei neue Verhältnisse geschaffen, die allmählich das Zurücktreten der
Wirkerei und ihre Ersetzung durch die
Seidenweberei und
Stickerei zur Folge hatten." Einen Beweis dafür haben wir nicht nur in der Abbildung des auf einem antiken Vasenbild im Berliner Museum sich befindlichen Hautelisse-Stuhles (vgl. Abb. 110), sondern auch in vielen Gesängen der Odyssee und Iliade werden uns Gewänder und ihre Musterungen beschrieben, die auf keine andere Technik, als die der
Wirkerei hindeuten, wobei auch an Durchzugarbeiten in farbiger
Wolle auf Leinen oder Baumwolle gedacht werden kann, wie sie uns die koptischen Grabfunde zutage gefördert haben (vgl. Abb. 111), welche, wenn sie auch nicht direkt auf griechischem Boden entstanden sein mögen, so doch wahrscheinlich auf hellenistischen Vorbildern beruhen, die wohl in Mosaikfussböden zu suchen sind. Die Musterung griechischer Gewänder haben wir uns so einfach wie möglich vorzustellen, da der Grieche viel mehr Gewicht auf die Fältelung seiner weissen wollenen oder leinenen Ueberwürfe legte und sie höchstens mit einem
Saum verzierte. Die antiken Vasenbilder, welche reiches Material für dergleichen Studien bieten, zeigen nur selten in kleinen Quadraten mit einfachen Sternen und Rosetten gemusterte Kleider, von denen man annimmt, dass orientalische Personen gekennzeichnet sein sollen, oder es handelt sich um Stücke jener Periode, in welcher Griechenland noch nicht völlig frei von orientalischen Einflüssen war. Während des 7.-10. Jahrh. bemächtigen sich die Griechen der Seewege und führen den Gebrauch der
Seide bei den Völkern und wilden Stämmen ein, mit denen sie in dieser Periode in politischen Verkehr traten: es handelt sich hier sowohl um
Seide aus dem Orient und aus
Spanien Rom besass unter den ersten Päpsten schon Seidenstoffe: einige wenige daher erhaltene Originale (eines im Königl. Kunstgewerbemuseum zu Berlin, ein anderes wird in Sitten aufbewahrt [vgl. Abb. 112]) zeigen Musterungen, welche vollständig in dem Geiste klassischer Formensprache gehalten sind. Akanthusranken - auf dem Original in Berlin befinden sich dazwischen kleine Rosetten aus je vier herzförmigen Feldern, die auch auf byzantinischen Geweben wiederkehren - und wie die Ergänzung Sempers wohl richtig vermuten lässt, bilden diese die Umgebung von menschlichen Gestalten mit ornamentalen Tierfiguren. Ein drittes römisches Original, aus Grabfunden herrührend (vgl. Abb. 113), weist mehr auf das Formengebiet hin, welches auf den Gewandfiguren römischer Mosaiken wahrzunehmen ist.