Gotischer
Stil bezeichnet in
Deutschland und Frankreich die Kunstweise der Zeit von 1200 bis 1500, in Italien bis 1400, welche in der Baukunst durch die Ausbildung des Spitzbogens gekennzeichnet ist, dessen gebrochene Linien, Fialen, Krabben u. s. w. während dieser Zeit auch in der Kleinkunst vorherrschen, wozu später für das Flachmuster Bosetten und Passfelder (s. d.), die Rose als solche, der Wein (Abb. 96), die
Distel (Abb. 97) in Erscheinung treten. Das Gewebemuster im Anfange der Periode noch vollständig von sarazenischer Kunstweise beeinflusst, weil die europäische Kunstweberei und ihre Formensprache erst allmählich selbständig werden, lässt vom 14. Jahrh. ab Elemente erkennen, welche sich als spätere Gotik bezeichnen lassen, wobei früher und später die Mustergebung für kirchliche Stoffe (s. d.) auffällt, welche die Italiener nach gegebenen orientalischen Vorbildern in ihrem Geiste umgestaltet haben, in welcher Beziehung ihnen schon die Araber vielfach vorgearbeitet hatten (s. arabischer Stil). Am Ende des 14. Jahrh. hat sich in Italien die arabische Ueberlieferung verloren (vgl. die Abb. auf Tafel III); die Tiermuster sind verdrängt, die
Arabesken haben sich in Blattwerk verwandelt, welches deutliche Spuren des gotischen Stils trägt: knorriges
Astwerk (Abb. 98), das zackige Distellaub (Abb. 97), halb naturalistische Blätter und Blüten, vereinzelt die
Lilie (Abb. 99), bis im 15. Jahrh. das sogen.
Granatapfelmuster (s. d.) einsetzt und das Stoffmuster bis in die E^enaissancezeit hinein beherrscht. - Technisch ist im frühgotischen Zeitalter für die Kunstweberei wenig Neues zu verzeichnen; erst im 15. Jahrh. entfaltet sich die grösste Pracht des Damastes und des Goldbrokates, vor allem aber des Sammets, welcher uns bis dahin nur wenige Beispiele hinterlassen hatte. Ergiebiger gestalten sich einzelne Gebiete der Kunsthandarbeiten, welche zumeist noch in Kirchenwerkstätten für das Gotteshaus entstehen, wobei zu bemerken ist, dass sich in manchen Gregenden die Muster hierfür lange bis ins 16. Jahrh. hinein halten. Zahlreich vorhanden sind Stickereien auf grobem
Segeltuch und aus späterer Zeit Leinenstickereien (s.d.). Von letzteren gibt es unzählige Altardecken, welche in weissem und braunem
Garn Ranken mit reizvollen stilisierten Blüten enthalten, deren Flächen in allerlei Ueberfangstichen belebt sind. Ein ganz besonders schönes Stück eigener Art bewahrt das Germanische Museum in Nürnberg. (Vgl. Abb. 100.) Kirchlichen Zwecken dienstbar gemacht ist ferner das weite Gebiet der Bild- und Goldstickerei, meistens für Kaselkreuze und -Stäbe verwendet. Die Musterung besteht in Streifen aus biblischen Figuren, welche unter Spitzbogenstellungen abwechseln. Aufgelegte
Goldfäden werden in roter
Seide in korbflechtartiger Musterung übernäht, die Gewänder der Heiligen sind mit farbigen Seidenfäden emailartig lasiert überstickt und die Gesichter und auch oft andere Teile in malerischer Art in farbigem Plattstich ausgeführt. - Eine gröbere Art von
Stickerei auf schwarzem Tuch, deren Technik an Aufnäharbeit erinnert, kommt in quadratischen Feldern zur Geltung, die zu Rücklaken für Chorgestühle zusammengesetzt sind.
Auch hier hat man bunte aufgelegte Fäden in Flächen überstickt, wobei vergoldete Lederriemchen und als Unterlagen der Blütenformen, Pergamentfolien Verwendung gefunden haben. (Abb. 101.)
In die frühgotische Zeit gehört die Technik der Aufnäharbeit in Perlen und getriebenen Goldplättchen; auch eine Art der Tamburierarbeit (s. d.) auf Leinwand lässt sich in
Deutschland um diese Zeit nachweisen. Schliesslich kommt auch hier in Aufnahme die Technik der sog. Gobelinwirkerei für Rücklaken und Wandteppiche (s. d.), deren Arbeiten mit Figurendarstellungen, Spruchbändern und verschiedenartigem Ornament in dunklen Umrisslinien merkwürdig in gleicher Wirkung stehen zu den bunten Glasfenstern mit Bleiverglasung derselben Zeit. (ueber Einzelheiten vergl. die Spezialartikel.)